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Michael Krämer
Das Wort hinter den Worten
Literatur und Religion -
Nähe und Ferne
1. Einschränkende Vorbemerkung
Der Umfang der Beziehungen zwischen Religion
und Literatur ist allein in der abendländischen Kultur so groß
und vielfältig, daß dieses Geflecht ganz unmöglich auf
wenigen Seiten erhellt werden kann: Von Davids Psalmen über Dantes
Divina Commedia und Goethes Faust bis Mander, Merkl oder Winkler, von Homer
über Hölderlin und Rilke bis Celan und Nelly Sachs, von Heraklit
über Hamann und Novalis bis hin zu Bachmann, Domin und Eich - die
Perspektiven sind vielfältig und unterschiedlich, unter denen das
Verhältnis von Literatur und Religion zu betrachten wäre.
Allein schon die theologischen Funktionszuweisungen
an die Literatur seit den Zeiten der Kirchenväter über Thomas
von Aquino bis zu Guardini würden Bücher füllen. Und die
Rezeption biblischer Texte durch die Literatur allein in der neueren deutschen
Literatur von Thomas Mann über Stefan Heym und Werner Koch bis zu
Hilde Spiel und Patrick Roth wäre eine eigene und notwendig umfangreiche
Studie wert, ebenso das Verhältnis christlicher Mystik zur Gegenwartslyrik
unter linguistischen Gesichtspunkten.
So bleibt für diese Überlegungen
nur die Möglichkeit einer eher essaistischen und punktuellen Annäherung
an das Thema. Unter folgenden Gesichtspunkten sollen wenigstens Spuren
der Beziehungen zwischen beiden Bereichen, zwischen Literatur und Religion,
dargestellt werden:
· Das verlorene Paradies
und die Zukunft des Reiches Gottes
· Vom theologischen Überschuß
der Sprache
· Anmerkungen zu einer kurzen Geschichte
von Literatur und Religion
· Ferne Nähe - nahe Ferne
oder: „Von Gott kann man nicht sprechen“
· „Das Wort hinter den Worten“
Beispiele aus der deutschsprachigen Literatur
der letzten 10 Jahre
Eine weitere Einschränkung besteht
darin, daß der Blick sich ausschließlich auf den abendländischen
Bereich mit seinem griechisch-jüdischen Erbe richtet, auf dessen Fundament
auch das Christentum steht.
2. Das verlorene Paradies und die Zukunft
des Gottesreiches
Wer der Geschichte eines Sachverhaltes
nachgehen will, wird sinnvoller Weise bei „Adam und Eva“ anfangen müssen,
am Anfang also. Und eben dies geschieht auch hier. H.G. Adler, der jüdische
Gelehrte und Schriftsteller, der Theresienstadt überlebte und dem
die Emigration nach London gelang, veröffentlichte im Jahr seines
Todes 1989 einen stark autobiographisch gefärbten Roman „Die unsichtbare
Wand“. In diesem Roman findet sich eine Legende, die vielleicht erhellend
wirkt für das Verhältnis von Literatur und Religion. Diese Legende
beschreibt die Situation von Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem
Paradies:
Als nun Adam auf dem Felde baute,
von dem er genommen war, wurde er traurig, und Eva, voll Mitleid, forschte
nach seinem Kummer. Adam sagte: „Siehst du die Cherubim nicht mit ihren
hauenden blanken Schwertern, daß sie den Weg uns verwehren zum Baume
des Lebens? Siehe, ich lebe und begehre das Leben, aber der Herr hat gesagt,
ich bin Erde und soll wieder zur Erde.“ Eva wußte Rat: „Geh und mach
ein Zeichen dem Herrn, daß er unsern Wunsch erkenne und erhöre.“
Da brach Adam vom Fels einen Stein und beschlug ihn und meißelte
Zeichen seines Wunsches hinein, im Schweiße seines Angesichtes wurde
ihm hierfür von oben die Gabe der Schrift verliehen, die er in seiner
Not selbst erfunden zu haben glaubte. Adam zeigte Eva den Stein, sie lobte
ihn, und Adam schleuderte den Stein gegen die Richtung, wo die Cherubim
standen. Vom Glanz ihrer Augen und Schwertspitzen wurde Adam geblendet,
daß er nicht sah, wo der Stein zu Boden fiel. Auch war ein solches
Sausen in der Luft, daß er nicht hörte, wann der Stein sein
Ziel erreichte.
Wieder war Adam traurig, und wieder sprach
Eva ihm zu: „Siehe, du weißt nicht, was mit dem Stein geschehen ist.
Fürchte dich nicht, behaue einen neuen Stein, gib ihm das Zeichen
unseres Wunsches und schleudere wieder.“ Adam tat, wie Eva ihm geheißen.
Er tat es noch oft und tat es immer, wenn ihn die Trauer auf seinem Feld
verzehrte. So hat Adam, der Legende nach, den Brief erfunden, und der erste
Brief war ein versuchter Wurf nach dem verlorenen Paradies.
H-G.Adler
Paul Celan, der 1970 an den Spätfolgen
der Shoah von eigener Hand starb, sagt in seiner Bremer Rede von 1959 -
und es hört sich fast wie eine Ergänzung des eben gehörten
Textes an -:
Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform
der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost
sein, aufgegeben in dem - gewiß nicht immer hoffnungsstarken - Glauben,
sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an
Herzland vielleicht. Gedichte sind auch in dieser Weise unterwegs: sie
halten auf etwas zu. Paul
Celan, GW III, 186
Auch der Stein, der Brief des Adam hält
der Legende nach auf etwas zu. Briefe, selbst wenn sie nicht abgeschickt
werden, sind der Dichtung darin vergleichbar, daß sie einen Adressaten
intendieren. Und wenn, wie es bei Hamann und Herder heißt, die Poesie
die Muttersprache des Menschengeschlechtes ist, dann war jener Brief Dichtung.
Schreiben ist demnach ein „versuchter
Wurf nach dem verlorenen Paradies“ und Schreiben geschieht eher auf der
Folie der Trauer als des Glücks. Diese wiederkehrenden versuchten
Würfe nach dem verlorenen Paradies, diese Flaschenpost, die - vielleicht
- „Herzland“ erreichen mag und sich damit selbst überschreiten will,
diese Anstrengung durchzieht die Literaturgeschichte zumindest der Neuzeit
wie ein roter Faden, oft nicht rückwärts gewandt, auf das verlorene
Paradies, obgleich es das unter verschiedener Akzentsetzung auch gibt (vgl.
„Das goldene Zeitalter“), sondern eschatologisch oder chiliastisch gewendet.
Am 19. September 1793 verabschieden sich
drei Studenten des Tübinger Stiftes, nach Abschluß ihres Studiums
voneinander mit dem Losungswort „Reich Gottes!“ Es sind Hölderlin,
Hegel und Schelling, zwei angehende Philosophen und ein kommender Dichter,
der einige der kristallinsten Texte deutscher Dichtung schreiben sollte.
„Reich Gottes“ nicht einfach nur so, wie eine Parole, sondern mit der Forderung
des Rufzeichens versehen, das ein „es komme“ impliziert. Für Hölderlin
entfaltet Bertaux in seiner großen Hölderlin-Monographie diesen
ebenso religiösen wie politischen Ansatz.
„Die Dichtung, jede Dichtung plant so etwas
Chiliastisches: endlich ein gutes Weltregiment, was offenbar Gott auf Erden
nicht gelang.“ (A. Döblin, Aufsätze zur Literatur, 220). Das
ist, insbesondere im Nachsatz, ironisch gewendet, kein Ausdruck eines planen
Optimismus’, wohl aber die Beschreibung jenes „versuchten Wurfes“, der
sein Ziel nie erreichen wird, und dennoch müssen die Schreibenden
immer aufs neue schreiben, klagend und hoffend, ent-täuscht und ent-täuschend.
Adorno weist auf diesen Zusammenhang in
seiner Ästhetik hin, indem er konstatiert, daß aller Kunst die
Intention der Versöhnung des Unversöhnbaren innewohne und daß
daran die Kunst und also auch die Literatur zerbrechen müsse.
Paul Celan benennt eine solche Erfahrung
am Ende eines der Geschichte der Shoah gedenkenden frühen Gedichtes:
Es komme, was niemals noch war:
es komme ein Mensch aus dem Grabe.
(Spät und tief)
„Das verlorene Paradies“ - am Ende wird
es „zum verdorrten Kleingarten Eden“ (Günter Kunert, Von einer Wanderung),
über dessen Eingang das „Antlitz Gottes“ als „geborstene Maske“ hängt.
Selbst dort noch, wo schon fast klaglos nur noch die Relikte abgelaufener
Hoffnung benannt werden, kommt die Dichtung nicht umhin, sich auf jene
Bilder der Hoffnung zu berufen, die die Literaturgeschichte immer wieder
durchziehen und die ihre Kraft gleichermaßen aus den eschatologischen
oder paradiesischen Bildern der Bibel nehmen wie aus der Tatsache, daß
wir, da wir sprechen können, sprechen müssen.
3. Vom theologischen Überschuß
der Sprache
Wir haben uns angewöhnt, Sprache unter
dem Gesichtspunkt informativen Sprechens und funktionalen Ausdrucks anzusehen
und zu benutzen. Unser Umgang mit der Sprache spiegelt so den Umgang mit
Menschen in unserer Gesellschaft. Aber so wenig Menschen in ihrer Funktionalität
aufgehen und wie sie, wenn man sie unter dieser Perspektive allein anblickt,
verkümmern, so wenig sind unsere Sprache und unser Sprechen geeignet
zu bloßer Information und eindimensionaler Funktion. Noch im funktionalsten
Kontext, in dem Sprache denkbar ist, im Telephonbuch etwa, obgleich doch
das Telefonbuch angeblich lediglich „relevante“ Daten enthält, stolpere
ich plötzlich über eine Adresse, in der das Wort „Schöntalweg“
vorkommt. Und ich gelange über dieses Wort auf einmal in eine romantische
Märchenlandschaft, in der sich ein Weg durch ein schönes, also
vielleicht waldbestandenes und gleichermaßen lichtes Tal dahinzieht.
So komme ich unversehens aus der Welt der Zwecke und des Nutzens an einen
locus amoenus, einen heiteren Ort, der durch keine Wirklichkeit abgedeckt
ist, der aber ein Traumbild dessen sein mag, das ich hoffe, und der sich
bebildert und entwickelt aus sprachlich - und das heißt oftmals literarisch
- vorgegebenen Motiven.
Hans Blumenberg, der Philosoph, der sich
selbst geradezu als areligiös versteht, versucht diesen Überschuß
der Sprache zu benennen: „In nichts ist die Sprache so leistungsfähig,
wie in der Formulierung von Ansprüchen im Bereich des Nicht-greifbaren.
Daß mehr ausgesprochen wird, als im Denken vollzogen werden kann,
ist der logisch-ärgerliche Sachverhalt, mit dem wir als einem geschichtbildenden
Faktor ersten Ranges zu rechnen haben.“ (Die Legitimität der Neuzeit,
56)
In diesem Sinn auch schafft Sprache oftmals
eine Wirklichkeit, die es nicht geben kann; und weil es sie nicht geben
kann, bleibt sie Vorschein des Erhofften. Die biblischen Propheten partizipieren
an dieser Wirkweise der Sprache ebenso wie die Schreibenden unserer Zeit.
Die Utopisten haben davon gezehrt ebenso wie die Sänger des Untergangs.
Und die jesuanische Verkündigung des Reiches wäre ohne diese
Wirkkraft, diese Wirklichkeitskraft der Sprache ganz unmöglich gewesen.
Und so ist seitdem etwas in die Welt gekommen an sprachlicher Wirklichkeit,
an Hoffnungsstruktur, das nicht wieder hinausgefallen ist. Und alle, die
der Sprache sich nähern, und umso mehr, je mehr sie sich nähern,
werden auf diese Wirklichkeit und Wirksamkeit von Sprache und Sprechen
gestoßen.
Literatur und Dichtung sind nicht nur
eine „Erscheinungsform“ der Sprache, als Tätigkeit sind sie auch der
Versuch, die Sprache und ihre Worte näher anzuschauen, als dies im
Alltagssprechen möglich ist. Literatur und Dichtung haben immer noch
kathartische und innovierende Fähigkeiten im Blick auf Sprache, vor
allem aber sind sie gestaltwerdendes Erinnern: „Je näher man ein Wort
anblickt, umso ferner blickt es zurück“ (Karl Krauss). Erinnern aber
war noch niemals Selbstzweck, sondern hatte immer schon die Bedeutung der
Entdeckung von Neuem „Erinnern, um Neues zu sagen“, wie ein Buchtitel lautet,
und - das gilt für dieses Jahrhundert vielleicht mehr als für
frühere - Erinnern, um das verlorene nicht verloren zu geben, sondern
um es mitzunehmen in eine Zukunft, über der die Hoffnung der Versöhnung
leuchten möchte.
4. Anmerkungen zu einer kurzen
Geschichte von Literatur und Religion
Homer, der imaginäre Vater der abendländischen
Dichtung, war zugleich der große Mythenerzähler. Die Psalmen,
tiefe Artikulation einer auch individuell sich ausformenden Religiosität,
sind bis heute glänzende Perlen der Dichtung. Religion und Dichtung
waren am Anfang nicht geschieden. Die Dichtung war Artikulation des Religiösen
und die Religion hatte nur das Dichterische Wort, um in angemessener Weise
zur Welt zu kommen.
Erst mit dem Christentum gibt es hier
einem Bruch: Von Augustinus bis zum Pietismus finden sich Vorbehalte gegen
alle Formen der „schönen Rede“, der Eloquentia und Elegantia, des
„erhabenen“ Ausdrucks und der gezierten Rhetorik. Begründet wird dies
mit der der neue Ununterscheidbarkeit von profan und sakral, vor allem
aber damit, daß das Erhabenste des Christentums eine „peraltissima
humilitas“, eine allerniedrigste Niedrigkeit, sei: das Skandalon des Kreuzes.
Zugleich gibt es soziale und geistesgeschichtliche
Hintergründe solcher Bewertungen: Die Botschaft des Christentums richtete
sich zu römischen Zeiten gleichermaßen an die Herren wie an
die Sklaven, und die Koinh, die lingua franca des römischen Reiches,
die zugleich die Sprache der neutestamentlichen Schriften ist, galt nicht
viel unter den Gebildeten der Zeit.
Und der Pietismus, vor dem Hintergrund
der Aufklärung als religiöse Schule des Herzens entstanden, weist
gerade deshalb die barocken Formen maniristischen Sprechens in Drama und
Lyrik ab, weil sie nur den Verstand befriedigen und für das Empfinden
keinen Raum lassen. Bei Zinzendorf heißt es: „Denn es ist ein großer
Unterschied, wenn man so Blümgen redt und schreibt, und Figuren und
Tropos macht, und wenn man hingegen die Sachen so naif und handgreiflich
vortragt, daß jedermann sieht, es brudelt einem zum Herzen heraus,
in puris naturalibus.“
Es ist nun schon wieder spannend zu sehen,
wie gerade diese Form des „Brudelns aus dem Herzen heraus“ literarisch
ein Denkmal gesetzt bekommt in Karl Philip Moritz „Anton Reiser“ - in Form
einer kindlich gespielten Predigt mit humorvoll katastophischen Begleitumständen.
Ebenso bedeutungsvoll ist es, daß
aus der Linie des Pietismus auch ein so gewaltiger Sprecher wie Johann
Georg Hamann, der „Magus in Norden“ erwachsen konnte, der eine sprachlich
verortete Metakritik über „den Purissimum der Vernunft“ schrieb und
als einer der Väter des „Sturm und Drang“ gilt, jener literarischen
Epoche, die den Dichter zum Genie und Prophetennachfolger erhob.
In diesem Zusammenhang dürfte wohl
nicht zuletzt Luthers Hochschätzung des Wortes von Bedeutung sein
wie auch die Mißachtung bildender Kunst im sakralen Bereich durch
Zwingli und Calvin, die es notwendig machte, die Bilder religiöser
Anschauung in die Sprache zu übersetzen.
Aber auch die Bilder der Bibel selbst
sind ein Gegengewicht gegen eine überbordende Verachtung der Poesie:
Weinstock und Reben, Himmlisches Gastmahl, Unkraut und Weizen - all das
sind Bilder von poetischer Kraft, die keine real vorfindbaren Fakten beschreiben
und dennoch für die Menschen wirklichkeitsträchtig und und hoffnungsleitend
waren - und wohl für viele immer noch sind.
Eine andere Linie kommt mit Thomas von
Aquino und der Scholastik ins Spiel; und diese Linie hat zumindest im katholischen
Bereich für den Umgang mit künstlerischen Ausdrucksformen und
eben auch mit der Literatur deswegen große Bedeutung gehabt, da die
Scholastik in Form neoscholastischer Ausbildungsgänge bestimmend für
die Theologenausbildung bis in die Fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts
war. Läßt sich vom Phänomen her zunächst eine Ungeschiedenheit
von Religion und Dichtung benennen, ein fragloses Miteinander sowohl im
jüdischen wie im griechischen Kontext - abgesehen einmal von Platos
„Politeia“ -, so nimmt Thomas eine wertende Unterordnung der Dichtung -
wie der Kunst überhaupt - unter Theologie und Verkündigung vor:
Dichtung gehört zum Trivium, dem ersten Teil der Ausbildung, sie ist
„ornamentum fidei“ und „ancilla theologiae“, sie ist also schmückendes
Beiwerk, das den Glauben leichter aufnehmbar macht und steht im Dienst
der Theologie und der Verkündigung als deren Magd. Eine solche Beschreibung
der Dichtung mochte solange unwidersprochen bleiben, wie das Weltgefüge
der Menschen, die ordo, christlich-religiös bestimmt war, solange
wie die Erde im Mittelpunkt des Universums stand als fester Punkt göttlichen
Erlösungshandelns.
Mit der „kopernikanischen Wende“ (Blumenberg)
jedoch, noch mehr mit Gallilei und Newton, der Erkenntnis der unendlichen
Vielzahl von Sonnensystemen und der schwerkraftgesteuerten eliptischen
Bahn der Planeten, zerbrach das Weltbild solcher Selbstverständlichkeiten.
Und mit der parallel dazu sich entwickelnden Verselbständigung des
Bürgerstandes begannen auch die Künste, sich aus der Herrschaft
der Theologie und des Glaubens zu befreien. bis sie - spätestens mit
der Aufklärung - Autonomie gewinnen und damit - mit all ihrer Entwurfskraft,
utopischen Energie und Sinnstifung - der Religion zum konkurrienden System
werden.
Zunehmend machten sich nun die Dichtung
und die Literatur die religiösen Texte dienstbar, indem sie sie als
Wort- und Bildreservoir nutzten. Beschreibt Hamann noch Gott als den großen
Schriftsteller, weil er die Welt geschrieben habe, so taucht bereits im
Sturm und Drang der Gedanke auf, daß der Mensch, weil er das Wort
hat, Gott ähnlich ist: Der Dichter wird zum gottähnlichen Schöpfer.
Mit der Autonomie des ästhetischen
Bereichs gibt aber die Literatur zusehends nicht nur die Verbindung mit
der Religion auf; spätestens seit Baumgartens Ästhetik (1750)
wird deutlich, daß auch Ethik und Ästhetik getrennte Bereiche
sind - auch wenn Schiller der Literatur noch einmal andere Funtkion zuzuweisen
versucht (Die Gleichstellung von Erhabenem und Wahrem, von Schönem
und Gutem).
Im Katholischen Lager wurde eine solche
Autonomie der Kunst und der Literatur lange Zeit mit Mißtrauen beobachtet.
Wenn schon Literatur, dann sollte es christliche, gar katholische Literatur
sein. Dafür stand die im Umfeld der Zeitschrift „Hochland“ - zu Beginn
dieses Jahrhunderts - angesiedelte Literatur, oder jenseits der deutschen
Sprache beispielsweise Bernanos und Graham Green, der sich jedoch selbst
niemals als „katholischer Schriftsteller“ verstand, sondern als Schriftsteller
und Katholik, und damit Karl Rahner Verdikt, daß jemand sehr wohl
Schriftsteller und Katholik sein könne aber nicht katholischer Schriftsteller,
entsprach.
Die religiöse bzw. kirchliche Enthaltung
von den Ausdrucksformen der Kunst und der Literatur konnte nicht von Dauer
sein. Trotz aller Konkurrenz, trotz der Vorsicht, mit der die Dichterinnen
und Dichter amtskirchlichen oder pastoralen „Vereinnahmungsversuchen“
begegneten, trotz des Mißtrauens, mit dem kirchliche Amtsträger
der Dichtung begegneten - erinnert sei in diesem Zusammenhang an Grass
oder Böll, oder auch Hochhuth -, offensichtlich ist trotz Aufklärung
und Autonomie der gemeinsame Ursprung unvergessen, und seit Guardini, spätenstens
seit dem 2. Vatikanum will es scheinen, als gebe es hier und dort ein vorsichtiges
sich Aufeinanderzubewegen, keine Umarmung, aber eine Auseinandersetzung
auf verschiedenen Ebenen. Darüber sollen die „Beispiele“ im letzten
Teil Auskunft geben.
5. Ferne Nähe - nahe Ferne
oder: „Von Gott kann man nicht sprechen...“
„Im Anfang war - das Wort“. Mit diesem
Bekenntnis beginnt bekanntlich der Prolog des Johannes-Evangeliums. „Und
Gott sprach“, das ist ein immer wiederkehrender Satz der jüdischen
Schrift. Und dieses Wort wird als „Geschehen“ entfaltet. Das hebräische
„Dabar“ ist gleichermaßen Wort und Erfüllung des im Wort angekündigten,
benannten Geschehens. Solche Magie der Sprache wünscht sich die Literatur
bis heute. Manchmal - und auf schwache Weise - gelingt solches Sprechen,
in Ansätzen, in der Dichtung, dann etwa wenn Texte im Sprechen von
Zerbrochenem selbst zerbrechen, wenn wie in den „Glühenden Rätseln“
der Nelly Sachs Worte am Rande des Verstummens stehen und aufhören
in der Unsagbarkeit des „Gedankenstrichs“, der hier besser „Ahnungsstrich“
heißen sollte, wenn im Sprechen vom Singen der Text selbst zu singen
anhebt.
Die ferne Nähe von Dichtung und Religion,
die aus den Mythen der Griechen, aus den Psalmen Israels, aus den Hymnen
der Kirchenväter, aus der gewaltigen Komposition der Divina Comedia
auch in unsere Tage herüberklingt und zu unserem Kulturerbe gehört,
das wir um unserer kulturellen Identität willen besser nicht vergessen,
diese ferne Nähe ist aus der Nähe unserer Zeit besehen zur Ferne
geworden. Aber wie die Literatur die Religion und ihre Traditionen vielleicht
braucht um des Erinnerns willen, vielleicht auch als Stachel der Hoffnung
im Fleisch der Resignation, vielleicht auch nur, um der Verlorenheit des
Menschen vor sich selbst und in der Welt umso heftiger Ausdruck geben zu
können, so braucht umgekehrt die Religion - zumindest christlicher
Prägung - die Literatur. Wozu? Sicher nicht, um sie in irgendeiner
Form in den Dienst zu nehmen für Predigt, Verkündigung und Religionsunterricht.
„Von Gott kann man nicht sprechen, wenn
man nicht weiß, was Sprache ist. Tut man es dennoch, so zerstört
man seinen Namen und erniedrigt ihn zur Propagandaformel.“ (Günter
Eich 1959). Nun ist es der Religion aufgegeben, von Gott zu sprechen. Offenbarungsreligionen
zumal, wie Judentum und Christentum, können nicht anders als in Worten
sich artikulieren. Aber auch Worte erleiden das Schicksal von Menschen:
Sie werden alt, sie werden stumm, sie sterben. Schlimmer sogar: Sie werden
hingerichtet durch die Unsprache der Werbung und der Propaganda, durch
Lüge, leere Behauptung und Indoktrination. Auch biblische Bilder können
in Vergessenheit geraten, weil sie nicht mehr an die Alltagserfahrungen
der Menschen anschließen. Wer glaubt denn angesichts von Unkrautvernichtungsmitteln
noch an die Notwendigkeit, Weizen und Unkraut gemeinsam wachsen lassen
zu müssen? Bilder wie „Der gute Hirte“, selbst das analogische Sprechen
vom guten Vater im Himmel - wer wird das in Zukunft noch nachvollziehen
können vor dem Hintergrund von Massentierhaltung und zunehmender Häufigkeit
von Ein-Eltern-Familien?
Viel gefährlicher aber als der Verlust
solcher Bilder ist der Bedeutungsverlust religiöser Sprache im Kontext
von Funktionalität und Mißbrauch. „Wenn man nicht weiß,
was Sprache ist.“ Wo anders sollten Theologen und Theologinnen, Menschen,
die sich der Verkündigung widmen, in eine Sprachschule gehen, als
bei der Literatur?
Nicht nur die Dichter sind vorsichtig,
wenn sie auf Theologen treffen, weil sie Vereinnahmung befürchten.
Auch die Theologen sind oftmals ängstlich, wenn sie sich auf Literatur
einlassen, weil sie befürchten mögen, in ihrem vielleicht so
schön gefügten Weltbild irritiert zu werden, oder weil sie sich
sorgen, daß ihre latenten Zweifel offen zutage treten oder noch schlimmer,
weil sie Angst haben, daß es ihnen das Wort verschlägt.
Es könnten aber, die Gott zu sprechen
haben, von der Literatur lernen, daß Fragen wichtiger als Anworten
ist, daß Dogmen zu Erzählungen zurückfinden müssen,
das Hoffen entscheidender ist als das Erreichen des Erhofften, daß
Sprechen oft genug ans Schweigen grenzt und daß es manchmal besser
ist darüber zu schweigen, worüber man nicht sprechen kann.
Und am Ende könnten beide, Religion
und Literatur, vor der Frage stehen, ob das Wort, das am Anfang gesprochen
ward und wirkte, nicht bis heute unerhört blieb, und also im Schweigen
verharrt, „verhofft“, bis wir, die Menschen, es in unsern Worten klingen
lassen - als „Antwort“ mit- und aufeinander, als Gespräch, als Kommunikation
oder - um es theologisch zu sagen - als Sakrament.
6. Das Wort hinter den Worten
Beispiele aus 30 Jahren deutschsprachiger
Literatur
Wie bereits kurz angedeutet, ist das Gespräch
zwischen Religion und Literatur zumindest seitens der Literatur niemals
völlig unterbrochen gewesen. Und seit Guardini, Hans-Urs von Balthasar,
und schließlich vor allem auch Paul Konrad Kurz - oder auf evangelischer
Seite Hans-Eckehart Bahr und Dorothee Sölle -, um jeweils nur einige
zu nennen, gibt es auch eine behutsame Wiederaufnahme des Gesprächs
seitens der Theologie.
An dieser Stelle geht es nun darum zu
sehen, in welcher Weise im letzten Jahrzehnt Religion in der Literatur
einen Ort hat. Die andere Frage, wo im religiösen Sprechen und in
der Theologie Literatur einen Ort gefunden hat, wäre natürlich
ebenfalls eine interessante Frage, dazu jedoch fehlt hier der Raum.
Folgende Elemente sollen im folgenden
exemplarisch und in Auswahl vorgestellt werden:
· Implizite Religiosität in
literarischen Texten
· Auseinandersetzung mit der eigenen
bzw. erfahrenen religiösen Sozialisation
(Katholische/Evangelische Kindheit)
· Scherz, Satire, Ironie und - nicht
immer - tiefere Bedeutung
· Religiöse Motive, biblische
Sprache und Motive sowie theologische Rede
Am Ende wird dann der Versuch stehen, den
Anfang zurückzugewinnen: Die Frage, inwieweit auch gegenwärtige
Texte sich abarbeiten an jener Unmöglichkeit, das Paradies, oder das
Reich Gottes, die Heimat der Menschen oder Utopia, zu intendieren, zu schaffen
als Sprachraum, ohne es wirklich zu machen oder gar seine politsche Umsetzung
zu rezeptieren.
a) Implizite Religiosität in
literarischen Texten
Hier gilt es, zunächst einmal zu fragen,
welcher Begriff von Religion zum Tragen kommen soll. Ohne intensiver an
dieser Stelle auf die Diskussion um verschiedene Religionsbegriffe einzugehen,
benenne ich die von Tillich geprägte Formulierung: „Religion ist,
was mich un-bedingt angeht.“ Dies ist ein relativ weiter und nicht allein
aufs Christentum beschränkter Religionsbegriff, der aber zumindest
die existentielle Bedeutung von Religion verdeutlicht.
Einer der Dichter, die mich in diesem
Zusammenhang am meisten faszinieren, ist der schwäbische Autor Hermann
Lenz - insbesondere mit seiner im Erscheinen begriffenen und immer weiter
fortgeschrieben Autobiographie in Romanform. 1995 erschien von ihm „Zwei
Frauen“. Und in diesem Roman, wie schon in den vorausgehenden, geht es
um nichts anderes als um die Frage, wann ein Leben als gelungen zu betrachten
ist, ob es der großen Aufbrüche bedarf oder ob auch das „kleine“
Leben ein gelungenes sein mag.
Eine Autorin, die in diesem Zusammenhang
zu nennen ist: Brigitte Kronauer, insbesondere mit ihrem meditativen Roman
„Die Frau in den Kissen“, der ohne je das Wort „Schöpfung“ zu benennen,
eine ganze Schöpfungstheologie enthält - wie übrigens auch
der Roman „Die Schwaigerin“ von Ruth Rehmann. Auch die drei „Versuche“
von Peter Handke sind in diesem Zusammenhang zu nennen.
Als zitierbares Beispiel mag hier der
Schluß von Christoph Heins „Drachenblut“ stehen, der das erhoffte
Gelingen in ein entlarvendes, beinahe klagendes „Es geht mir gut.“ verwandelt.
b) Auseinandersetzung mit religiöser
Sozialisation
Eins der ersten Bücher der letzten
Jahrzehnte, die sich mit diesem Thema beschäftigten, stammt nicht
von einem Literaten, sondern wohl nicht zufällig von einem Psychoanalytiker.
- Längst haben Psychologie und Psychoanalyse eine der Religion fast
gleichwertige Bedeutung für Literatur und Kunst - , Tilman Moser:
„Gottesvergiftung“, diesem Buch folgten von Jutta Richter (katholisch)
„Himmel Hölle Fegefeuer,“, Michael Kraneis (Evangelisch) „Erde und
Himmel“, und (katholisch) die Bücher Klaus Stillers „Weihnacht“ und
„Das heilige Jahr“. Der von Werner Ross im Herder-Verlag 1988 herausgebrachte
Band „Katholische Kindheit“ gibt einen fruchtbaren und manchmal furchtbaren
Überblick von dem, was religiöse Sozialisation bewirken und auch
anrichten kann. Nicht zuletzt sei in diesem Kontext verwiesen auf Erwin
Strittmatters „Der Laden“, aus Günter de Bruyns „Zwischenbilanz“,
auf Arnold Stadtlers „Ich war einmal“ und dessen Zuspitzung, im vorletzten
Jahr erschienen, „Mein Hund, meine Sau, mein Leben“.
Daß solche Erfahrung nicht nur christlich-religiöse
Sozialisation betrifft, zeigt sich übrigens an der auch für Nichtjuden
spannenden Erzählung „Rubinsteins Versteigerung“ von Rafael Seligmann,
die sich der jüdisch-religiösen Sozialisation annimmt.
Was alle diese Bücher auszeichnet
ist, daß die ethischen Elemente der Religion als problematisch erfahren
werden, daß zugleich mit der Ethik aber oftmals die gesamte Religiosität
über Bord geht. Nicht hinterfragbare Normen werden bereits von Jugendlichen
- und vielleicht aufgrund ihrer Pubertätskrise von ihnen zuerst -
als problematisch erfahren. Zu fragen bleibt vor dem Hintergrund dieser
Texte, ob nach einer Trennung von Ethik und Ästhetik auch eine Trennung
von Ethik und Religion ins Haus steht. Manche Ausprägungen der Esoterik
scheinen dies anzudeuten. Andererseits wird gerade von den Kirchen immer
wieder ein ethisch eindeutiges Wort erwartet, manchmal auch nur, damit
man sich darüber wieder aufregen kann.
Als eher bestürzendes Beispiel sei
in diesem Kontext ein Ausschnitt aus Klaus Stiller, „Das heilige Jahr“
vorgestellt, im Bewußtsein allerdings, daß diese Texte der
Auseinandersetzung mit der religiösen Sozialisation in dem Maße
schwinden, wie von religiöser Sozialisation nicht mehr gesprochen
werden kann.
c) Scherz, Satire, Ironie
und - nicht immer - tiefere Bedeutung
Da auch nach beinahe 2000 Jahren das Gottesreich
nicht angebrochen ist, da religiöse Sozialisation in den vergangenen
Jahrzehnten und Jahrhunderten häufig eher menschliche Verkrümmung
mit sich brachte als den aufrechten Gang, da schließlich die religiöse
Sprache sich nicht selten auf Abwegen bewegt, seien hier einige Texte zitiert,
die darauf reflektieren und deutlich machen, daß der Literatur die
religiöse Sprache keineswegs gleichgültig ist:
Zeltmission
An Jesus kommst du nicht vorbei,
las ich auf einem Plakat
in der Straßenbahn.
Starkes Stück
bei dem Gedränge.
Das Gedicht könnte genauso gut Kirchentag
heißen, jedenfalls beschränkt es sich nicht auf religiöse
Sondergruppen: Wo immer verwaltete religiöse Sprache auf den schlichten
Alltag trifft, wird sie entweder lächerlich oder unglaubwürdig.
Schon Peter Handkes Lebensbeschreibung , jene mit den Mittel von Nachrichtensprache,
kirchlicher Verlautbarungs- und biblischer Sprache die Geschichte Jesu
zu schreiben, zeigte die Absuridtät eines solchen Unterfangens. Aber
immer wieder versucht Verkündigung eben jenes zu unternehmen: Mit
häufig unreflektierten Mitteln ihre Botschaft in die Gegenwart zu
transponieren. Und immer wieder wird an der Weise des Sprechens wie an
der dadurch sich entlarvenden Verquertheit der Inhalte sich Gelächter
entzünden, das allerdings bisweilen im Halse stecken bleiben mag:
Weder Noch
Ach nein, ich kann kein Schächer
sein,
dann müßt' ich wilder,
frecher sein,
wahrscheinlich auch viel böser,
und weil ich lau und feige bin,
nicht Bratsche und nicht Geige bin,
langt's nicht mal zum Erlöser.
Auch hier wird mit biblischen Motiven
aus dem Neuen Testament gearbeitet: Der Schächer, das Lau-Sein, der
Erlöser...Aber es kommt zu einer Umkehrung des Gewohnten. Nicht die
Nähe zum Erlöser scheint erstrebenswert, sondern dem Schächer
nachzueifern, ist offensichtliches, wenn auch nicht erreichtes Lebensziel.
Sicherlich wirkt ein solches Sprachprodukt
auf viele Gläubige blasphemisch. Allerdings stellt sich sofort auch
die Frage, was eigentlich die Blasphemie sei: Eine Literatur, die solche
Texte schreibt, oder eine Christenheit, die die Befreiungskunde der Botschaft
Jesu so vermittelt, das den unvoreingenommen Zuhörenden ein Schächerleben
allemal lohnens- und lebenswerter erscheint als ein Leben in der Nachfolge
Jesu. Weiter gefragt: Ist nicht eine Verkündigung letzlich gottlos,
die Jesus zu einer so blutleeren Gestalt stilisiert hat, daß der
Schächer, also der Verbrecher inzwischen die spannendere Gestalt geworden
ist?
Angesichts einer verfaßten Christenheit,
in der es nicht nur „menschelt“, sondern die in ihrer Verfaßtheit
sich zusehends entmenscht, das heißt, immer mehr auf Gott und seine
Güte verzichtet, um einzusteigen in das sehr menschliche Spiel von
Autorität, Macht und bisweilen Gewalt, sind Texte wie der oben zitierte
eine eher liebevolle Erinnerung an biblische Zeiten.
Viele Christen heute gehen anscheinend
mit der Leidensgeschichte in höchst masochistischer Weise um:
("der märtyrer")
schüsse die von hinten kommen
niemals treffen einen frommen
denn der fromme zeigt die brust
und empfängt den pfeil mit
lust
Die Leidensmine und die Attitüde
der Leidensgeschichte scheinen vielleicht das zu sein, was die Öffentlichkeit
von Christen noch wahrnimmt. Sogar die eigene Kirche ist vielen zum Kreuz
geworden, das sie bereitwillig auf sich nehmen, vielleicht wegen des Gehorsams,
den die Autorität fordert, denn:
die kirche
die kirche auf dem berge hoch
steht oben. der pfarrer geht
ein und aus dort. und vertritt
gottes wort
mit seinen beiden nimmermüden
füßen.
Die Kirche also steht oben, heißt
es dort, und in der Kirche ist nur der Pfarrer, nicht etwa Gottes Wort,
das wird lediglich vertreten, entweder, weil es sich nicht selbst sagen
kann oder weil es nicht anwesend ist oder aber noch boshafter, wie die
letzten beiden Zeilen vermuten lassen, weil es plattgemacht wird.
Und das Resultat solcher Art der Verkündigung,
so scheint Jandl jedenfalls zu behaupten, ist eine entleerte und unvollständige
Weise des Wartens auf eine Ankunft:
advent
wenn der adventkommt
und wir den adventkranz
und den schönen adventkalender
und den ersten adventsonntag
und das jesuskind aus wachs
Nachdem die Botschaft der Bibel aus dem
Alltag entschwunden ist, bleiben allenfalls Rudimente: Befreiung verkommt
zur konsumierbaren Wintersentimentalität, die in Erinnerung an die
eigene Kindheit alle Jahre wieder inszeniert wird: Advent - wer sollte
da, was sollte da eigentlich noch mal ankommen?
Hier zeigt sich die Fähigkeit einer
immer noch der sog. Konkreten Poesie nahestehenden Art des Schreibens:
Im Verweis auf bloße Wörter und deren Fehlen zeigt sich zugleich
das Defizit und die Depriviertheit von Alltag.
Was in den "ernsthaften" Texten eingeklagt
wird: Das Fehlen von Transzendenz und von Sprache, die in der Lage wäre,
ein Du anzusprechen, dem jene Eigenschaft zukäme: Das ganz Andere,
wie noch Rudolf Otto sagen konnte, wird in den boshaft bis satirisch sich
gebenden Texten lakonisch festgehalten. Beide Texte sind jedenfalls die
Benennung von Unbehagen und fehlendem Leben.
Beide Textarten sind vielleicht auch ein
Anruf, biblische Motive, biblische Botschaft und die daran gebundenen Verheißungen
und Hoffnungen im Alltag wie in der Literatur wieder anzusiedeln, heimisch
zu machen.
Die Literatur kann hier nicht mehr als
prophetische Mahnung sein. Aber schon die Worte und Handlungen der alttestamentlichen
Proheten haben meist nichts bewirkt, sondern allenfalls den Vorwurf des
Lästerlichen oder Lächerlichen zur Folge gehabt.
d) Religiöse Motive, biblische
Sprache und Motive und theologische Rede
In einem 1964 erstmals veröffentlichten
und dann später leicht verändert im Grundkurs des Glaubens
wiedergegeben Meditation über das Wort Gott, beschäftigt sich
Karl Rahner mit der Wirklichkeit des Wortes „Gott":
Es gibt das Wort Gott...Erst wenn
das Wort selbst nicht mehr wäre, d.h. wenn auch die Frage nach
ihm gar nicht mehr gestellt werden müßte, dann hätte man
vor ihm Ruhe. Aber es ist immer noch da, dieses Wort, es hat Gegenwart.
Hat es auch Zukunft?
Es gibt dies Wort überraschender
Weise auch heute noch, auch in der Literatur der Gegenwart, in neuesten
literarischen Texten sogar häufiger vielleicht als in Texten aus den
70er Jahren. Die Zitation dieses Wortes ist ganz unterschiedlich. Manchmal
scheint es wie eine Reminiszenz aus vergangenen Kinderzeiten dazustehen.
Aber es ist da. Manchmal geht es eher satirisch zu, bisweilen tauchen bohrende
Frage auf, die einem Wort gelten, das blind zu sein scheint, das über
den Träger dieses Namens nichts verrät.
Am Anfang der Welt war Gott.
Das
war der Name
Ich vergaß ihn
wie den Regenschirm in der Bar und
nahm ihn
nicht mit zur Geliebten. Wir fütterten
Vögel im Winter, für ihn
gab es nichts zu fressen.
Kein Freund, kein Feind,
er
ließ sich zu nichts gebrauchen.
Falls er noch lebte in welcher
Baracke,
in
welchem Abfluß ging er zugrund.
Wer war das.
Der Anfang mutet fast wie ein Zitat des
ersten Verses aus Genesis an, mit einem Unterschied jedoch: Dieser
Gott tut nichts am Anfang der Welt. Er war. Und damit ist die Zeit vorgegeben:
Vergangenheit. Ein Name wird er genannt, der auftaucht aus einem längst
stattgehabten Vergessen, das so vollständig nun doch nicht ist. Denn
wie eines ehemaligen guten Bekannten gedenkt das Gedicht seiner. Im Alltag
hat er keinen Platz. Beziehungslosigkeit ist ausgebrochen: Keine Feindschaft
und keine Freundschaft. Und diese Beziehungslosigkeit wird mit seiner Nutzlosigkeit
begründet. Das Vergessen korrespondiert dem Nutzlosen: Nur was nützlich
ist, scheint der Erinnerung wert, der Beziehung und des „Futters“ - obgleich
ja eben die Vögel im Winter sich auch nicht eben durch größte
Verwertbarkeit auszeichnen.
Es handelt sich hier um eine ausgezeichnete
Beschreibung des Verhältnisses von Transzendenz und Immanenenz auf
der Ebene der Sprache. Worte lassen sich für alles finden, aber nicht
für einen Namen, dessen Träger Jenseits und über dessen
Existenz kaum ein Wort zu machen ist. Wenn überhaupt, scheint er seinen
Ort in den dunklen Situationen des Lebens zu haben. Jenseits: Das ist die
Baracke, der Abfluß, das Zugrundegehen - vielleicht sogar im wörtlichen
Sinn. „Wer war das.“ Das ist ja keine Frage mehr, sondern der Ausdruck
des Unwissens, des Verloren-Habens - und darin dann doch vielleicht auch
wieder Name, präterital aber.
Psalm:
„Der Mensch ist verantwortlich für
Gott.“
Dieser Satz aus dem Roman Altes Kloster,
der gänzlich losgelöst für sich steht, gesprochen von einem
Mann, der den Tod nahen weiß, entspricht in gewissem Sinne dem Rahnerschen
Denken: Für das Wort Gott ist der Mensch verantwortlich, weil dies
Wort nur Antwort auf menschliches Sprechen sein kann, in ihm eben sich
spiegelt, ohne seinen Inhalt preiszugeben.
Mit Inhalten aber füllen wir dieses
Wort, mit Bildern, von denen wir immer wissen müssen, daß sie
nicht gelten, die wir aber dennoch so nötig brauchen, weil sie unsere
Weise ahnender Welt- und Selbsterkenntnis darstellen.
Du sollst dir kein bild machen
gut ich schwärze alles ein
oder besser
ich mache es ganz weiß
bis ich gottes quitt bin
alleins
aber herausfallend
lieber meister
die alten klagen
dieses gekreisch aus den sphären
diese schreie von überall
und diese bilder.
Das Bilderverbot des Dekalog wird zum
Anlaß genommen, tatsächlich die Bilder von Gott „einzuschwärzen“,
bzw. um noch ihr ehemaliges Vorhandensein wegzuschaffen, sie einzuweißen
(wobei der Sprecher wohl genau weiß, daß man sich etwas auch
weis machen kann...).
Der nächste Vers ist ein Zitat aus
Meister Eckharts Predigt „Surge illuminare Jherusalem“, in der es heißt:
Darumbe, so bitte ich Gott, daß er mich quitt mache Gottes. In der
großen Ausgabe von Quint lautet das Wort „quitt“ ledic. Aber Poethen
erweist hier seinem alten Freund Celan wohl auch Referenz, in dessen Gedicht
„Treckschutenzeit“ es in der letzten Zeile heißt: Todes quitt,
Gottes quitt. Auch hier übrigens ist es das gleiche Eckhart-Zitat
aus der genannten Predigt, die dann im folgenden Gedicht noch einmal ausführlicher
zitiert wird: ...stant up Jherusalem... Bei Poethen folgt aus der Vernichtung
der Gottesbilder nun die ganz umgangssprachliche Erfahrung vollkommener
Einsamkeit: alleins. Der liebe meister der folgenden Strophe weist noch
einmal, nun direkt angesprochen, auf Meister Eckhart hin, und Widerspruch
meldet sich an: Klagen und Schreie menschlicher und kosmischer Natur, die
Bilder des Leidens, das ja nicht bildlos ist, evozieren aufs neue auch
Gegenbilder, die sich im Gottesbild beheimaten wollen.
Die Literatur, die auf Bilder, auf die
Metaphern angewiesen ist, die sie neu schafft, um der Sprache ihre Kommunikabilität
und Erkenntnisfähigkeit zu erhalten, kommt ohne Gottesbilder nicht
aus.
Ein anderer Lyriker, Günter Kunert,
beginnt das Gedicht Von einer Wanderung mit dem Satz: Das Gesicht
Gottes ist kein Antlitz. Das Gedicht kennzeichnet den Weg der Weltgeschichte
und des Menschen als einen Weg ins Bebaute, Angekränkelte, in die
ökologische Katastrophe, die auch das Gottesbild mit beschädigt,
am Ende steht die Menschheit, steht der Wanderer vor diesem Antlitz Gottes,
das sich allerdings als geborstene Maske über dem verdorrten Kleingarten
Eden entpuppt.
Die Literatur tut sich schwer mit diesem
Gott, dessen Nutzen nicht so recht einleuchten will, ohne den aber die
große Einsamkeit auszubrechen droht und dessen Bild ein verletzliches
ist, das - und das heißt: dessen Wahrnehmbarkeit - mit der Beschädigung
der Schöpfung ebenfalls Schaden nimmt. Und die Lyriker und Lyrikerinnen
insbesondere sehen in den Worten der Religion und ihren Bildern immer auch
anderes durchschimmern, daß diese Religion aufhebt:
MIR STEHT KEIN GOTT ZUR SEITE kein
Glaube
mich tröstet keine Kreuzigung
im Gegenteil
noch täglich reißen Menschen
andre Menschen
entzwei keine Religion macht mich
still...
Da ist er wieder, der Opium-Vorwurf Marxens,
die Stillhalte-Mentalität, die in der Tat oft genug im Namen des Christentums,
der Bibel, des leidenden Gottessohnes etc. empfohlen wurde. Und so werden
wir von Seiten der Literatur wieder einmal darauf aufmerksam gemacht, daß
das Leiden Jesu kein singulärer Fall, sondern die Regel unter Menschen
ist.
Und dennoch: Immer wieder kommt dieser
Gott aus den Wörtern, steht denen, die sich der Sprache verschrieben
haben im Mund, weil das Wort existiert und ihnen die Wörter lieb sind.
Was ist das für ein Gott, der
uns immer tiefer
in die Leere stößt?
Was ist das für eine Welt,
in der ein Mensch erst lebt,
wenn er tot ist?
Es ist ein ausgesprochenes Rätselgedicht,
das Horst Bieneck geschrieben hat unter dem Titel „Wer antwortet wem“,
zugleich das Titelgedicht des Bandes. Und es scheint, als artikuliere dieser
Titel auf andere Weise was bei Celan/Sachs „Wir wissen ja nicht, was gilt“
geheißen hatte.
GOTT IST SPRACHLOS, so nennt Klaus Hensel
einen Abschnitt seines jüngst erschienen Gedichtbandes Stradivaris
Geigenstein .
Diese Zeile als bloße Aussage gelesen
wäre ebenso banal, wie wenn jemand behaupten würde, Gott habe
keinen Mund. Aber im folgenden erläutert Hensel:
Wir haben Zeit, seitdem wir sprechen.
Sprache ist Struktur der Zeit. Ewigkeit ist ein Projektion dieser Struktur
und wie jede Projektion, die Illusion einer Weiterung; daher, daß
die Buchstaben in dieser Ewigkeit nicht zueinander finden, rührt die
Sprachlosigkeit von Gott. Den Anfang gab das Wort. Eins das andere.
„Die Sprachlosigkeit von Gott“, das ist
Objektivus und Subjektivus gleichzeitig: Gott ist sprachlos heißt
also: Gott hat keine Menschenworte (mehr), und Menschenworte reichen nicht
an die Transzendenz. Und wenn auch der Anfang dem Wort sich verdankt, es
folgen eben nur Worte, Gott ist abwesend.
Das ist ein Stück sprachmystischer
Schöpfungstheologie, die sich hier artikuliert. Das zweite Gedicht
dieses Zyklus lautet:
HEXENSTIFT
Ich bin der Pinsel
Und der Strich, ich
bin Bleistift und
Radier mich wie
Gott aus der Welt
vom Papier.
Das ist die Konkretion des im vorigen
Abschnitt eher abstrakt Mitgeteilten: Die Welt ist ein Kosmos gottloser
Worte wie das Gedicht ein Kosmos ichloser Worte ist; nur widerruft das
Gedicht seine Aussage durch sein Sprechen.
Andererseits ist die Grundlegung abendländischer
Kultur im Wort und zentral eben im biblischen Wort bisweilen auch eine
Überforderung der Sprache, die den ohnmächtig Sprechenden zum
Zynismus verführen mag:
Die Welt existiert erst, wenn sie
formuliert, in Sprache gefaßt vorliegt. Darum wurde ihr wohl auch
gleich die Bibel nachgeliefert, worin sogar geschrieben steht 'Im Anfang
war das Wort.' Und weil die Welt sich laufend verändert, muß
sie laufend neu formuliert werden, was den Überhang an Formuliertem
erklären mag, der nicht eitel Freude bereitet, denn wer möchte
schon alles nachgetragen haben?
Das erinnert in seiner Lakonie fast an
die - dort aber wohl aus der Irritation des Redaktors entstandene - Aussage
im Kohelet: Es nimmt kein Ende mit dem vielen Bücherschreiben, und
viel Studieren ermüdet den Leib...(12, 13). Und doch meint es im Kontext
des Buches mehr noch den Überhang an begrifflicher Sprache im Gegensatz
zum betrachtenden Sprechen der Kunst. Das „Formulierte“ und das „Gesprochene“,
das ist wohl zweierlei. Das Formulierte macht handhabbar, das Gesprochene
ist Ausdruck. Aber bisweilen wird die Welt als so schief und irritabel
erfahren, daß Heimatlosigkeit sich ansagt und jene vanitas, die aber
nicht in epikureischen Genuß umschlägt, sondern im Schmerz stecken
bleibt. Werner Söllners Gedicht „Was bleibt“ macht dies deutlich:
WAS BLEIBT
Das Haus der Welt ist schlecht gebaut,
ich sitze krumm und schief darin.
Ach Sprache, meine stumme Braut,
sag mir, wo ich zuhause bin.
Hier steht ein Bett, ein Stuhl ein
Tisch,
da ist noch Brot und dort ist Wein.
Was bleibt? Versteinertes Gemisch
aus Sätzen vom Lebendigsein.
Der Sinn der Wörter ist die
Haut,
die langsam auseinanderfällt.
Ach Sprache, meine stumme Braut
-
das Aug weint, was die Silbe hält.
Es scheint zunächst, als sei in diesem
Gedicht weder von der Bibel noch von Religion die Rede. Wenn aber ein Lyriker
heute die Wörter „Brot und Wein“ in einem Gedicht aufruft, dazu
noch in einer Zeile, so ist sicher, daß die Evokation des biblischen
Motivs von Brot und Wein zumindest mit gemeint, wenn nicht gar zentral
intendiert ist. Allerdings ist längst nicht mehr auf das biblische
Geschehen abgehoben, sondern das bloße Zitat steht stellvertretend
für eine Realität und für eine Hoffnung, die aktuell nicht
mehr benennbar ist. Alltag (Bett, Stuhl, Tisch) und seine Feier (Brot und
Wein) als Feier des Lebens bleiben als bloße (sprachliche) Versteinerung
erhalten. Deswegen heißt die Sprache „stumme Braut“, deswegen, weil
sie stumm ist, fehlt die Möglichkeit, Heimat zu finden. In sprachloser
Artikulation allein scheint sich noch verflüssigen zu können,
was in der Sprache wie in der Erinnerung leblos kristallin geworden ist.
Aber: Auch hier wieder der Versuch des Sprechens, der Versuch der Worte,
all das noch einmal zur Sprache zu bringen, das heißt mitteilbar
und damit aufhebbar zu machen.
Es bleibt eine Schädigung der Sprache
wie des Menschen, beide sind ja ohne einander undenkbar, zu benennen. Und
wenn solche Schädigungen auftauchen, so geht man am besten zum Psychiater,
weil offensichtlich Seelenschäden es sind, die sich auftun in der
Reaktion auf das schief und krumm gebauten Welthaus.
Erfinden
Wenn es gott nicht gäbe
sagte der psychiater
man müßte ihn erfinden
also erfinden wir ihn
aber wie
nach unserem bilde
nach unser aller gedächtnis
nach den gesetzen
aber wie
so sitz ich zuhause am sonntag
ob ich mich besinnen könnte
ob ich mich erinnerte
ob er mit einfiele
vielleicht ist es zu spät
oder zu fremd hier
vielleicht käme er sonst und
sagte
fürchte dich nicht
aber nach all dem hörensagen
und wie wir uns heute so anstellen
wir müssen zum psychiater gehen
er müßte ihn erfinden
er müßte es tun.
Die Frage nach der Existenz Gottes, hier
nicht in absoluter Form gestellt, sondern unter dem Akzent, daß Menschen
diesen Gott anscheinend brauchen für die Heilung ihres Seelenlebens
spitzt sich dennoch gegen Ende des Gedichts zu: Die Erfindung Gottes steht
offensichtlich an, allerdings nicht seitens des Menschen sondern seitens
des Fachmanns für Seelenleben, weil dieser Gott als nicht existent
erfahren wird.
Und dennoch weiß auch dies Gedicht
von biblischen Erinnerungen: Der Mensch als Bild Gottes - hier die Verkehrung:
Gott nach dem Bilde des Menschen, nach seinem Gedächtnis, nach den
Gesetzen. Der nächste Abschnitt verweist in gegenläufiger Manier
auf die zuständigen menschlichen Tätigkeiten: Besinnung, Erinnerung,
Imagination.
Dem folgen die entscheidenden Sätze:
Spätheit und Fremdheit, ein Motiv, mit dem Poethen an die frühe
Lyrik seines Freundes Paul Celan anschließt: „Spät und tief“
heißt es dort. Und in seiner Büchnerpreisrede weist Celan darauf
hin, daß das Fremde vielleicht das andere, vielleicht sogar das ganz
Andere sein möge. Hier hingegen: Die Beschreibung, wenn auch im Tone
des Vielleicht, eines ungastlichen Zuspät. Und noch einmal, in biblischem
Tonfall wird die Möglichkeit der Ankunft Gottes in den Blick genommen
und das für die Gegenwart des Tremendum der Transzendenz sprechende
biblische: „Fürchte dich nicht“ zitiert.
Hier jedoch bleibt angesichts des Zustandes
von Alltag, Menschheit und Überlieferung nur der Gang zum Psychiater
.
Die biblisch erzählte Erfahrung des
Wirkens Gottes erscheint in der gegenwärtigen deutschen Literatur
als Frage nach diesem Gott, dessen Absenz allemal eher erfahren wird als
sein Wirken. Dennoch bleibt ein Erschrecken über die Leere der Welt
in den Texten. Und das Zitat alter Hoffnung, die Evokation biblischer Erinnerung
kontrastiert die Sprache und Erfahrung von Alltag in einer Weise, die Sprache
wie Alltag auf ihre Lebensfähigkeit wie auf ihre Lebensträchtigkeit
befragen - resignativ meist und häufig mit beinahe zynischem Unterton.
Insbesondere in der Klage aber findet
sich immer wieder geradezu psalmisches Sprechen. Auch davon ist die gegenwärtige
Literatur voll: Matthias Mander in seiner Geschichte eines weihnachtlichen
Todes (Der Sog) , Ludwig Fels in seiner Geschichte vom Abschied von der
Mutter (Der Himmel war eine große Gegenwart) oder Werner Koch
in seiner obskuren Geschichte vom Lebensabend dreier fiktiver Personen
(Altes Kloster) sie alle verfallen angesichts von Grenzerfahrungen
nicht dem absoluten Verstummen, sondern nehmen biblische Motive und psalmische
Sprechhaltungen als geliehene Ausdrucksmittel für den zu artikulierenden
Schmerz.
Es fehlen positive Beispiele, es gibt sie
auch nur selten, und meist liegen sie weiter zurück.
Eines sei zum Abschluß hier doch
zitiert. Es ist von Paul Celan aus dem Gedichtband „Fadensonnen“:
Einmal,
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt,
ungesehen, nachtlang,
wirklich
Eins und unendlich
vernichtet
ichten.
Licht war. Rettung.
7. Zum Ende
"Bruno Matull war einer jener weniger
Gemeindehirten, der auf mildes Dauerlächeln, diese allen Zweifel wegschminkende
Gewißheit der Pfaffen verzichtete, oder besser, dem es nicht gelang
diese Miene aufzusetzen. Wir sahen ihn als eher finster blickenden Mann
von fast brutaler Gestalt, der stehend nach Worten suchte, einige fand
und sogleich verwarf, neue als untauglich erprobte ganze Sätze
verschluckte, größere Brocken zerkaute, dabei bis über
die Backenknochen rot anlief" (Günter Grass, Ein weites Feld 1995)
In einer Hochzeitpredigt äußert
sich dieser Bruno Matull zum Glauben und zum Zweifeln. Und angesichts der
Situation (nach dem Fall der Mauer) kommt er zu folgendem Ergebnis, das
die in ihrem sozialistischen Glauben getäuschte, nun um christlichen
Glauben nachsuchende Braut in ihm evoziert hat:
Glaubt nicht blindlings.Laßt
endlich Gott aus dem Spiel. Gott existiert nur im Zweifel. Entsagt ihm!
Müde aller Anbetung lebt er vom Nein, Ihn dürstet nach nichts.
Längst hätte der Glaube Gott abgetötet und in ein schwarzes
Loch gestürzt, wenn nicht des Zweiflers Ruf - „Es ist kein Gott“ -ihm
Stachel und Ansporn, Labsal und Manna gewesen wäre (Günter Grass,
Ein weites Feld, 1995)
Hier wendet sich die Literatur zur Ansprache
an den Glauben und die Theologie. Ist wohl zuviel geglaubt worden im Zeichen
der Aufklärung, aber daran hat der theologische Überschuß
und die wirklichkeitsrelevante Schaffenskraft der Sprache ihren Anteil.
Heute aber trifft sich die Anfrage der
Literatur mit der Anfrage des Glaubens:
„Wozu brauchen Sie Gott?“ Und die Antwort,
die eine Frage ist lautet: „Dürfen wir Gott zu irgendetwas gebrauchen?“
Und die nächsten Fragen schreien zum Himmel: Wo ist Gott? Warum ist
er nur im Schweigen zu hören? Warum läßt Gott das Leid
der Welt geschehen? Und brauchen wir ihn nicht?
Die Polivalenz dichterischer Sprache öffnet
diese Fragen ins Kosmische. Die Theologie steht antwortlos. Wer glaubt,
betet vielleicht, in der Hoffnung, eine „Flaschenpost aufzugeben“, die
irgendwann an Land stößt, an „Herzland vielleicht“.
Aber das ist ein Glaube, der sich selbst
beugt, re-flektiert, vor dem was unbegriffen bleibt, Zukunft ist oder im
Schweigen „verhofft“.
„Nur um der Hoffnungslosen willen ist
uns die Hoffnung gegeben.“ (Walter Benjamin)
Michael Krämer
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